Prof. Dr. von Büdingen zur Prävention, Behandlung und Nachsorge von Schlaganfällen ▷ Podcast-Interview
Im Podcast „Lebensretter“ der Björn Steiger Stiftung spricht Bela Anda mit Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen.
Zunächst darf ich ausdrücklich feststellen, dass sehr vieles, was ich über den Schlaganfall berichten werde, auch für den Herzinfarkt gilt. 85 Prozent der Schlaganfälle sind Hirninfarkte, die übrigen Hirnblutungen.
Ursache eines Herzinfarkts ist Blutmangel in einem Bereich des Herzens. Ursache eines Hirninfarkts ist Blutmangel in einer Region des Gehirns. Beide gehören zur Gruppe der Herz-Kreislauf-Erkrankungen, den häufigsten Erkrankungen überhaupt.
Schlaganfälle und Herzinfarkte sind Notfälle. Jede Minute zählt: „Time Is Brain”.
- Man muss den Menschen bewusst machen, dass Schlaganfall und Herzinfarkt die nahezu identischen Risikofaktoren haben.
- Man sollte wissen, dass Schlaganfälle und Herzinfarkte durch wirksame Prävention und Behandlung zu 80 Prozent verhindert werden können.
Die größten Ziele sind: Notfälle verhindern, Notfälle erkennen und im Notfall unverzüglich handeln.
Ausgangslage
- Jeder Schlaganfall ist ein Notfall: Time is brain, d.h. zwischen Symptom-Beginn und Notfallbehandlung dürfen höchstens 3 bis 6 Stunden verstreichen
- In Deutschland ereignen sich jährlich ca. 270.000 Schlaganfälle, 85 Prozent davon sind Hirninfarkte. Stellen Sie sich mal vor: Alle zwei Minuten erleidet ein Mensch in Deutschland einen Schlaganfall!
- Es wird in der Zukunft aufgrund der demografischen Entwicklung und der Zunahme der Risikofaktoren zu immer mehr Schlaganfällen kommen, auch bei jüngeren Menschen.
- Die Vorhersagen sind: In dem Zeitraum zwischen 2005 und 2035 werden weltweit Herzinfarkte um 61 %, Schlaganfälle um 90 % und Demenzerkrankungen um 142 % zunehmen.
- Nur etwa 50 Prozent aller Schlaganfälle werden im erforderlichen Zeitfenster für die Akuttherapie behandelt. Hier besteht besonderer Aufklärungsbedarf der Bevölkerung.
Allgemeine Fragen zum Thema Schlaganfall
Sie hat sich sogar sehr positiv verändert, es gibt enorme Fortschritte. Am bedeutsamsten sind die beiden folgenden Entwicklungen:
- 1. Die Anerkennung und Behandlung des Schlaganfalls als Notfall, entsprechend dem Herzinfarkt.
- 2. Die Einrichtung der Stroke Units, von Schlaganfall-Intensiv- Überwachungsstationen. Derzeit sind in Deutschland 349 Stroke Units von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zertifiziert.
- 3. Behandlungsverfahren wie Thrombolyse und Thrombektomie, die allerdings nur in einem engen Zeitfenster von wenigen Stunden nach einem Hirninfarkt durchgeführt werden können.
Dieser Online-Ratgeber unterstützt Sie bei allem, was jetzt zu tun ist.
Die größten Herausforderungen sind:
- Dem Menschen zu vermitteln, was ein Schlaganfall überhaupt ist,
- dass und wie er durch Prävention verhindert werden kann und, besonders wichtig,
- wie ein Schlaganfall von einem medizinischen Laien erkannt werden kann.
Es geht also um die Verbesserung der Gesundheitsbildung oder Gesundheitskompetenz unserer Bürger, einschließlich der Ärzte und Rettungsdienste.
Es gibt:
- immer noch zu viele Fälle, die bagatellisiert oder zu spät erkannt wurden
- keine strukturierte Nachsorge zur Betreuung und Sekundärprävention
Hier ist wichtig zu wissen, dass in Deutschland Schlaganfälle nach den koronaren Herzerkrankungen, vorwiegend Herzinfarkten, die zweithäufigste Todesursache sind und die häufigste Ursache von bleibender Behinderung sind.
Weniger gravierend bedeutet: Weniger Todesfälle und weniger körperliche, geistige und seelische Einschränkungen durch einen Schlaganfall. Dies wird tatsächlich durch die schnellere Hilfe erreicht.
Der Zeitfaktor spielt eine ganz entscheidende Rolle. Je schneller die Diagnostik und Behandlung beginnen kann, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, den Schlaganfall ohne gravierende Folgen zu überstehen.
Nochmals. Je früher nach einem Schlaganfall die Diagnostik und Akut-Therapie eingeleitet werden, desto größer sind Chancen, ohne gravierende Behinderung den Schlaganfall zu überleben. Entscheidend ist auch die Intensiv-Überwachung in den ersten Tagen und die Behandlung von Risikofaktoren und Komplikationen auf der Stroke Unit.
Prävention und Verhalten im Ernstfall
Das Präventionspotenzial ist unglaublich hoch. Es ist durch viele wissenschaftlich begründete Studien nachgewiesen, dass mindestens 80 Prozent der Schlaganfälle und Herzinfarkte durch Prävention verhindert werden können.
- Durch den Lebensstil, also Bewegungsverhalten, Ernährung, Stressbewältigung, Verzicht aufs Rauchen und weitgehend auch auf Alkohol.
- Beachtung und Behandlung der häufigsten Risikofaktoren für die Gefäßverkalkung wie Bluthochdruck, Cholesterin-Erhöhungen, Diabetes mellitus, also die Zuckerkrankheit, Übergewicht.
Zahlen zur Häufigkeit bzw. Dimension der wichtigsten Risikofaktoren.
Prozentual findet sich in der deutschen Bevölkerung:
- Bluthochdruck bei 30 – 40 %
- Diabetes mellitus bei 10 %
- Cholesterin-Stoffwechselstörungen bei 50 %
- Rauchen bei 26 %
- Übergewicht Männer bei 67 %, Frauen bei 50 %
- Bewegungsmangel
Alle diese Risikofaktoren entwickeln sich schmerzlos und zunächst ohne gravierende Einschränkungen.
Wie schon gesagt, sehr wichtig. Ein gesunder Lebensstil ist allerdings keine Garantie für das Nichtauftreten einer H-K-E wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Bei jedem Menschen sollten die genannten Risikofaktoren möglichst frühzeitig erkannt und behandelt werden. Beispiel: Herzinfarkt mit 40!
Den Notruf unter 112 wählen. (Mehr dazu: Wie verhalte ich mich im Notfall?)
Durch ständig wiederholte und eindrückliche Aufklärung, um die Erkennung eines Schlaganfalls oder einer transitorisch ischämischen Attacke (TIA) – einer nur kurz dauernden Durchblutungsstörung des Gehirns – durch den BE-FAST-Test zu erleichtern.
Schlaganfallversorgung und Infrastruktur
Gut sind die Kliniken mit einer Stroke Unit vorbereitet. In Thüringen und Sachsen-Anhalt ist die Dichte noch gering.
Seit vielen Jahren konzentriert sich die Versorgung fast ausschließlich auf die Akutbehandlung im Krankenhaus. Vorsorge und Nachsorge werden im wahrsten Sinne des Wortes sträflich vernachlässigt.
Eine strukturierte Nachsorge existiert nicht. Bemühungen: Stroke Nurse, Schlaganfall-Lotsen, Kardiolotsen zur Sekundärprävention und Adhärenz (Therapietreue).
Zusammenarbeit mit der Björn Steiger Stiftung
- Aufklärung der Bevölkerung über Anzeichen und Symptome eines Schlaganfalls. Im Idealfall tritt gar nicht erst ein Notfall ein und wenn doch, steigt bei Auftreten von Symptomen die Überlebenschance deutlich, wenn rasch gehandelt wird. Dies setzt voraus, dass Menschen die Symptome richtig zu deuten wissen und entsprechend schnell und vor allem richtig handeln: ohne Umschweife die 112 wählen.
- Nachhaltige Prävention, mit dem ersten und wichtigsten Ziel, Gesundheitsbildung als Schulfach „Gesundheit und Krankheit” in die Schulen zu bringen.
Diese Ziele werden wir gemeinsam verfolgen.
Ja, die gibt es. Das Motto ist: Wir wollen Notfälle verhindern, erkennen und handeln. Wir werden uns auf zwei Bereiche fokussieren:
- Zum einen wollen wir Bewusstsein dafür schaffen, dass sich ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt verhindern lassen. Das wissen bisher viel zu wenige Menschen.
- Wir bieten für die Prävention bereits effektive Lösungen wie einen Online-Ernährungskurs an, der von den Krankenkassen erstattet wird. Das Gute daran: diesen Kurs gibt es auch auf Englisch und Türkisch. Damit erreichen wir noch viel mehr Menschen.
- Zum anderen werden wir Aufklärungsarbeit leisten, wie ein Schlaganfall erkannt wird – Thema BE-FAST-Test. Damit wollen wir bereits in den Schulen beginnen.
Die Björn Steiger Stiftung ist unabhängig und durchsetzungskräftig. Sie hat sich jahrzehntelang sehr erfolgreich für die Notrettung engagiert und verfügt über ein großes Netzwerk, das über viele Jahre gewachsen ist. Entsprechend hoch ist der Einfluss, den die Björn Steiger Stiftung deutschlandweit hat.
Zudem kooperiert die Björn Steiger Stiftung mit Institutionen und Unternehmen, die wiederum ein guter Multiplikator sind, um die öffentliche Wahrnehmung zu schärfen.
- Informative, laienverständliche Webseiten und Broschüren zu den wichtigsten Krankheiten.
- Professionell betreute Selbsthilfeforen im Internet.
- Aufwertung und Einsatz von nichtärztlichen Berufen als Präventionsassisten oder Stroke Nurses, die sich auch um die Therapietreue der Patienten kümmern.
Persönlicher Blick und Vision
Die Erfahrung, dass ein Schlaganfall eine besonders schwere und zerstörerische Krankheit ist, die in den meisten Fällen verhindert werden kann, wenn Gesundheitsbildung und Therapietreue gelebt werden.
Und dann das immense Präventionspotential, auch um die ständig ausufernden Kosten unseres Gesundheitssystems zu reduzieren. Das geht nur durch Verhinderung von Krankheit.
Als Sprachrohr für die Patienten und Angehörigen, die mit einem Schlaganfall leben müssen durch die Webseite schlaganfallbegleitung.de und als Trommler für die Prävention und Erkennung eines Schlaganfalls
Es sollten sich Menschen finden, die mit Herzblut, Erfahrung im Umgang mit Menschen und gesundem Menschenverstand die genannten Probleme angehen. Hierzu gehört die Gesundheit und an erster Stelle die Herz-Kreislauf-Gesundheit.
Mein größter Wunsch ist also, die Verhinderung und Erkennung von Notfällen einer breiten Öffentlichkeit nachhaltig zu vermitteln.
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