Mythen über den Schlaganfall ▷ Richtig oder falsch?
Täglich erreichen uns Fragen von interessierten Seitenbesuchern, die wir an dieser Stelle in wenigen Sätzen beantworten:
1. Schlaganfälle betreffen nur ältere Menschen
Falsch. Der Schlaganfall ist keine reine Alterserkrankung. In Deutschland leben 1,3 Millionen Menschen mit den Schlaganfall-Folgen, ein Viertel davon ist jünger als 65 Jahre. Das sind etwa 325.000 Menschen, viele davon stehen mitten im Berufsleben.
2. Der Schlaganfall ist ein Schicksalsschlag
Falsch. Denn ein Schlaganfall kommt selten aus dem „Nichts“. Fast 90 Prozent aller Schlaganfälle könnten durch verständliche und nachhaltige Aufklärung, Verbesserung der Gesundheitsbildung, Wissen und Behandlung von Risikofaktoren vermieden werden. Dazu zählen beeinflussbare Faktoren wie z. B. Bluthochdruck, Diabetes, erhöhtes Cholesterin im Blut, Rauchen, Alkoholmissbrauch, Bewegungsmangel, Übergewicht und falsche Ernährung.
3. Schlaganfälle kündigen sich immer mit Kopfschmerzen an
Diese Aussage ist irreführend. Das Fehlen von Kopfschmerzen schließt keinesfalls einen Schlaganfall aus.
Der Hirninfarkt durch Blutmangel zählt zu der häufigsten Erscheinungsform des Schlaganfalls. Nur etwa zwei von zehn PatientInnen klagen kurz vor oder bei einem Schlaganfall über starke Kopfschmerzen.
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Starke Kopfschmerzen treten sehr viel häufiger bei einer Hirnblutung oder der Blutung aus einer Gefäßmissbildung (Aneurysma) auf. Diese Schmerzen sind immer ein Alarmzeichen und als Notfall zu behandeln. Dann zählt jede Minute und der Griff zum Hörer sollte unverzüglich erfolgen: Den Notruf unter der 112 verständigen und im besten Fall die Symptome schildern.
Mehr dazu: Nicht jeder Schlaganfall verursacht Kopfschmerzen
4. Nur Risikogruppen mit erhöhtem Blutdruck sind von einem Schlaganfall betroffen
Nicht ausschließlich. Ein erhöhter Blutdruck zählt zu den größten Risikofaktoren für einen Schlaganfall. Allerdings können auch genetische Faktoren, entzündliche und immunologische Erkrankungen oder Störungen der Blutgerinnung für einen Schlaganfall verantwortlich sein.
Übrigens leiden in Deutschland etwa 30 Prozent der Erwachsenen an erhöhtem Blutdruck, die Dunkelziffer ist hoch. Je mehr weitere Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes oder Adipositas hinzukommen, desto höher ist das Schlaganfall-Risiko.
5. Ursache für einen Schlaganfall ist immer ein Blutgerinnsel
Nicht immer und auch nicht meistens. Unter den Sammelbegriff „Schlaganfall” fallen alle plötzlich auftretenden Durchblutungsstörungen des Gehirns. Sie werden entweder durch Blutmangel oder eine Blutung verursacht.
80 – 85 Prozent aller Schlaganfälle sind auf eine Minderdurchblutung zurückzuführen. Das nennt man “ischämischer Hirninfarkt”. Dieser wird in 20-30 Prozent durch ein Blutgerinnsel aus dem Herzen verursacht, meist bei Vorhofflimmern. Aber bei etwa 30 Prozent der Hirninfarkte kann trotz aller Bemühungen die Ursache nicht mit Sicherheit festgestellt werden.
6. Ein Schlaganfall hat überwiegend körperliche (physische) Auswirkungen
Keinesfalls. Körperliche Schlaganfall-Folgen sind sichtbar und damit für ÄrztInnen und das Umfeld des Betroffenen offensichtlich.
Seelische (psychische) oder geistige (kognitive) Folgen werden unterschätzt, weil sie weniger sichtbar sind. Dabei leiden etwa 30 Prozent der Schlaganfall-PatientInnen unter einer depressiven Störung, eine Vielzahl unter Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen.
7. Einen Schlaganfall kann man nicht behandeln
Dieser Mythos ist Schnee von vorgestern. In den vergangenen drei Jahrzehnten konnte die medizinische Behandlung wesentlich verbessert werden. Das hat mit der Anerkennung des Schlaganfalls als Notfall zu tun.
Das Motto lautet: “Zeit ist Hirn, jede Minute zählt, rufe sofort 112”.
Zudem gibt es in Deutschland inzwischen etwa 335 zertifizierte “Stroke Units” an Krankenhäusern. Das sind Schlaganfall-Spezialstationen zur Akutversorgung des Schlaganfalls. Auch durch verbesserte Therapien sowie die ständige Verfeinerung der Untersuchungsmethoden und -techniken wird die Behandlung verbessert.
8. Aspirin verhindert einen Schlaganfall
Diese pauschale Aussage ist gefährlich. Aspirin hat eine schmerzstillende und entzündungshemmende Wirkung. Zudem wird die Neigung der Blutplättchen (Thrombozyten) zur Verklumpung und somit die Entstehung eines Blutgerinnsels gehemmt.
Aspirin wird ärztlich gezielt nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt eingesetzt. Eine vorbeugende bzw. prophylaktische Einnahme bei Gesunden ist eher gefährlich. Es können bedrohliche Nebenwirkungen wie eine Entzündung der Magenschleimhaut, ein Magengeschwür mit Blutung oder andere Organblutungen auftreten.
9. „Ein Schlaganfall wäre das Schlimmste, was mir passieren kann“
Diese Zeit ist zum Glück vorbei. Die Überlebenschance und eine Erholung nach einem Schlaganfall haben sich durch Verbesserungen in der Vorsorge, der Diagnostik und Therapie deutlich erhöht. Dennoch steigt die Schlaganfall-Rate weltweit an. Das hat mit der zunehmenden Alterung der Bevölkerung und dem Anstieg an Risikofaktoren zu tun.
10. Um die Nachsorge brauchen sich Betroffene heutzutage keine Sorgen zu machen
Leider nein. Die Nachsorge eines Schlaganfall-Patienten ist bisher nicht einheitlich und strukturiert geregelt. Und auch nicht sektorenübergreifend, also unter Einbeziehung aller fachlichen Disziplinen, Therapiemaßnahmen inbegriffen.
11. Kleine „Schlägle“ sind harmlos
“Schlägle” sind keinesfalls harmlos. Sondern häufig Vorboten eines Schlaganfalls.
Unter einem “Schlägle” wird umgangssprachlich eine kurzdauernde Durchblutungsstörung des Gehirns verstanden. Sie geht mit einer neurologischen Störung einher. Medizinisch handelt es sich um einen Schlaganfall. Genauer gesagt um eine transitorisch ischämische Attacke (TIA), deren Symptome sich innerhalb von 24 Stunden zurückbilden. Meist ist selbst durch die Computer- oder Kernspintomographie des Gehirns kein Schaden erkennbar.
“Schlägle” bzw. TIA’s sind als Notfall zu behandeln. Das bedeutet, dass unverzüglich der Notarzt (112) alarmiert werden muss. Er leitet die Untersuchung und Behandlung auf einer Schlaganfall-Spezialstation (Stroke Unit) ein. Durch dieses Vorgehen kann das Risiko eines erneuten Schlaganfalls nach einer TIA wesentlich gesenkt werden.
12. Das Herz hat nichts mit dem Schlaganfall zu tun
Das Herz hat sehr viel mit dem Auftreten von Schlaganfällen zu tun. Das Herz pumpt das mit Sauerstoff angereicherte Blut über die große Körperschlagader (Aorta) in die hirnversorgenden Arterien.
Blutgerinnsel (Thromben), die sich im Herzen bilden, können sich ablösen, mit dem Blutstrom in den Hirnkreislauf gelangen und dort je nach Größe eine kleinere oder größere Hirnarterie verstopfen. Durch den Blutmangel entsteht dann ein Hirninfarkt mit neurologischen Störungen.
Fast alle Herzerkrankungen erhöhen das Risiko für einen Schlaganfall. An erster Stelle steht die Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern. Sie führt zu einem oft nur kurze Zeit auftretenden, unregelmäßigen Pulsschlag. Vorhofflimmern ist für 20 – 30 Prozent aller Schlaganfälle bzw. Hirninfarkte durch Blutmangel in einer umschriebenen Hirnregion verantwortlich. Durch die unkoordinierten Bewegungen der Vorhöfe des Herzens und mangelhafte Durchmischung oder gar Stillstand des Blutes können sich im linken Vorhof Blutgerinnsel bilden. Diese werden dann in den Hirnkreislauf eingeschwemmt.
Vorhofflimmern tritt mit zunehmendem Lebensalter häufiger auf. Daher werden von ärztlicher Seite alle Bemühungen unternommen, Herzrhythmusstörungen früh zu erkennen und zu behandeln.
13. Ein Schlaganfall ist erblich
Bisher gibt es keinen wissenschaftlichen Hinweis, dass ein Schlaganfall vererbbar ist und damit an Nachkommen weitergegeben wird. Allerdings wird das Auftreten von Schlaganfällen von vielen Risikofaktoren beeinflusst. Diese Faktoren wiederum können erbliche bzw. genetische Grundlagen haben.
Mehr dazu: Ist ein Schlaganfall vererbbar?
14. Schlaganfall-Risiken sind geschlechtsunabhängig
Einer Studie zufolge haben Frauen gegenüber Männern im vergleichbaren Alter ein geringeres Risiko, einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden.
Der Grund ist, dass Frauen hinsichtlich der Risikofaktoren einen niedrigeren Blutdruck haben, weniger rauchen, weniger Alkohol trinken und gesündere Blutfettwerte aufweisen.
Frauen haben auch bessere Strategien für die Gesundheitsvorsorge und einen gesünderen Lebensstil mit bewusster Ernährung und mehr körperlicher Aktivität. Da die meisten Frauen bereits in jungen Jahren einen Frauenarzt aufsuchen, haben sie weniger Berührungsängste, zu einem Arzt zu gehen.
Mehr dazu: Frauen erleiden seltener eine Herz-Kreislauf-Erkrankung als Männer
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Autor
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]
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